Ilse Bindseil

Von A bis Zett – meine Welt im Porträt

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G wie Glück – Aus einem Selbstporträt

Ein Buchstabe fehlt ihr noch zu ihrem …, ein einziges Wort. Aber es will und will ihr nicht einfallen. Beim ersten Versuch hat sie sogar danebengehauen. Worauf sie verfiel, war: Gruppe. Sie dachte, sie könnte sich von der Seele reden, was sie an Empörung und Wut in sich hineingefressen hatte über mangelnde Aufmerksamkeit, mangelnde Anerkennung, mangelnde Aufnahme, mangelnde Rücksicht, mangelnde Kenntnisnahme. Ihre Kränkung hatte den Mangel an Erfahrung ein paar Absätze lang überdecken können; dann war Schluß. Schließlich – da war sie kaum beim Gruppenfrühstück angelangt – hat sie kapituliert.

Dann lieber die Lücke.

Schließlich ist ihr das richtige eingefallen, aber nur in Kombination mit einem anderen, der es dem gesuchten G entreißen und es ausgerechnet dem am reichsten bestückten Buchstaben zuordnen würde, der das Schema ohnehin zu sprengen droht und mit dem sie schon längst ein Alphabet eigener, sozusagen einbuchstabiger Art aufmachen könnte: L wie Liebe oder Leben.

›Lebensglück‹ lautet denn auch das Wort, es stammt nicht von ihr – wie denn auch, wo doch die Sprache allgemein ist, von Gesten regiert wird. Trotzdem gehört es zu ihrem innersten Erlebniszusammenhang. Es ist nicht auf ihrem Mist gewachsen; aber es ist – Mist.

»Aber mir mein Lebensglück kaputtmachen!« sagt der erbitterte Bräutigam in spe und zwingt die zukünftige Braut damit zu dem Geständnis, daß sie ihn ebenfalls liebt; es kann sich nur um ›Nesthäkchen‹ handeln. Vor der Tatsache dieses kompakten Seins für ihn, vor dieser doppelten Bestätigung ihres Seins und ihres Sinns gibt sie ihren Widerstand auf. Wenn sie derart ist, bedarf es ihrer eigenen dubiosen Person zur Beglaubigung nicht. Vielmehr findet sie sich als Teil eines anderen Selbst, an dem sie Anteil nehmen darf wie nur irgendein Unbeteiligter. Das Konzept kombiniert ein Optimum an Sicherheit mit einem Maximum an Ausgeschlossensein.

So verdinglicht ist dieses Glück, so selbstgenügsam, daß es durch Kitsch weder gesteigert noch gemindert werden kann. Leben trägt die Last des Glücks, Glück die Last des Lebens; eins expliziert das andere und erfüllt seine Gewährleistungspflicht, ist sich zugleich der Erfüllung dieser Pflicht durch das jeweils andere gewiß. Nicht ist Glück Glück, Leben Leben, sondern das Versprechen, das das Glück gibt, wird vom Leben erfüllt, die Sehnsucht, die das Leben weckt, vom Glück befriedigt. Am Sankt-Nimmerleins-Tag werden sich Glück und Leben als dasselbe herausstellen. Was man immer schon gewusst hat, das wird sich ereignen, und was wie durch eine haarfeine Zeitspalte getrennt schien, wird sich begegnen.

Lebensglück, das ist Garantie und Illusion in eins.

Wenn Lebensglück das Nichtswürdigste, Kitschigste, Scheinhafteste ist, was es auf der Welt gibt, was ist dann mit dem Glück?

Sie hatte sich ein Glück gezimmert aus Realien; das ist schon lange her. Sie wollte sich nicht in Träumereien verlieren. Vom Glück träumen und das Leben verpassen ist nicht ihr Ding. Daß ihr das passieren könnte, davor hat sie immer Angst gehabt. Es zu verhindern, dafür hat sie sich aufgerieben; zuviel gewollt, stellt sie fest, nur wenig zugelassen. Am liebsten war es ihr stets, wenn sie sich der Notwendigkeit nur noch zu fügen brauchte. Das Leben lieferte Tatsachen, sie machte Glück daraus.

Wie ein Hieb traf sie die Bemerkung eines Bekannten über jene Epoche, die sie persönlich für ihre glücklichste hielt; kein Wunder, bestand sie doch aus lauter Notwendigkeit und bot deshalb jede Menge Stoff für Glück.

Das war überhaupt eine lieblose Zeit damals, sagte er.

Es ging um die Jahre, in denen sie ihre Kinder aufgezogen hatte, und um die alte Frage, ob man sie schreien ließ oder nicht. Trösten war der nicht ausgesprochene Hauptbegriff der Unterhaltung. Gab man den Kindern den nötigen Trost, oder trennte man sie von ihrem Kummer und bemächtigte man sich ihrer dadurch im schwachen Augenblick? So offen hatten sie das gar nicht diskutiert; aber dies waren die Abgründe, die die beiläufige Bemerkung in ihr aufriß.

Das war damals überhaupt eine lieblose Zeit, sagte der Bekannte. Ihr war es, als würde sie standrechtlich erschossen. Er wirkte, als machte er bloß eine Bemerkung über das Wetter, würde eine Allerweltsweisheit verkünden. Und trotzdem schwang ein drohender Unterton mit, wie von einem Urteil.

Sie hatte es nicht für möglich gehalten, daß man die Realität anders sehen konnte als sie; es ging doch um die Wirklichkeit, genau zu sagen um die Notwendigkeit, um das Gegenteil von Halluzinationen und Ideal. Es ging um den Kompromiß mit dem Mann, mit dem Kind und mit ihr selbst. Von Bedürfnissen will sie gar nicht reden. Sie war ja selbst noch ein Baby, damals, als sie ihre Mutterpflichten erfüllte, und wußte nicht, was sie für sich gewollt hätte: daß man sie tröstete oder schreien ließ.

Vielleicht war das der Grund ihrer Entrüstung, daß ihr Bekannter zu glauben schien, er wüßte, welches von beidem das Richtige war. Oder daß er vergessen zu haben schien, daß man das wissen mußte, wenn man sich so äußerte. Daß man es für sich geklärt haben mußte. Sonst passierte nämlich, daß man das andere statt bloß für falsch eben für lieblos erklärte und den Teufelskreis aus Hunger und Wiedergutmachung nicht sprengte.

Wichtig, vielleicht, daß dieser Bekannte gut anderthalb Jahrzehnte jünger war als sie. In ihm meldete sich eine andere Generation zu Wort, die war der Begründung überhoben. Sie war jemand anders und machte daher etwas anderes. Nur, sie erklärte es auf vertrackte Weise für das gleiche.

Sie hatte das so verstanden, daß der Bekannte sich selbst als Beleg für den Effekt einer liebevollen Erziehung heranziehen wollte; so als hätte man ihn nicht schreien lassen und er wäre deshalb imstande, sein Kind zu trösten. Das Mißverständnis ging natürlich voll zu ihren Lasten, und sie wußte auch gar nicht, wie sie darauf kam, schien er ihr in seiner Entschlossenheit, das Kind nicht ›normal‹, sondern liebevoll aufwachsen zu lassen, doch älter als sie selbst, wie ein geborener Großvater, einer, der den Kampf gegen die Windmühlenflügel der Wirklichkeit hinter sich hat und darüber weise geworden ist, einer, der nicht erzieht, eben, sondern tröstet.

Wahrhaftig, um ein Haar hätte sie zu ihm gesagt: Du bist auch nicht gerade eine Reklame für das Programm einer liebevollen Erziehung! Dabei hatte er das, erstens, nie behauptet, und zweitens kannte sie ihn so gut wie nicht. Sie war nur über die Maßen verletzt.

Sie könnte ewig fortfahren, aber was hatte das alles mit Glück zu tun?

Sie hatte anstatt der Phantasmagorie des Glücks das Glück der Realität gewählt. Oder, kurz und knapp, die Realität statt des Glücks. Das war nicht wenig, wenn man bedenkt, daß die Phantasmagorie sich in ihrem Innern sozusagen unkündbar eingenistet hatte. Mit Vater und Mutter rechnete man beizeiten ab, aber die Götter der Kinderlektüre waren unangreifbar; sie überdauerten »Zeit und Ewigkeit«.

Das Glück der Realität, nun, so hallte der leichthin, dabei mit einer gewissen nachdrücklichen Betonung ausgesprochene Satz des Bekannten in ihrem Innern nach, war ein liebloses Glück!

Man sagt, daß jemand sein Glück gefunden hat. Aber von einer Frau heißt es eher, daß sie glücklich ist. Das soll jetzt nicht sexistisch verstanden werden – auch der Mann kann glücklich sein, aber sie glaubt schon aus rein sprachlichen Gründen nicht, daß auch sie ›ihr Glück finden‹ kann, es sei denn ihr Mutter , Haus- und Familienglück. ›Sein Glück finden‹ gilt ihr daher als männliche Empfindung, ›glücklich sein‹ eher als weibliches Ziel. ›Sein Glück finden‹ hat mit der sachlichen Liebe zu Systemen und Gegenständen zu tun, zu allem, was man bauen, worin man sich umtun kann, aber auch mit dem Quentchen Vorherbestimmung, ohne das die Rechnung nicht aufgeht. Nur weil der Mann nicht grundlos auf der Welt ist, ist ihm ein Glück bestimmt. Findet er es, ist sie glücklich.

Wenn sie will, daß er glücklich ist, dann hat er in ihr sein Glück gefunden. Umgekehrt ist sie glücklich, wenn er mit ihr umgeht, als falle sie in seine Verantwortung. Als wäre sie eine seiner Aufgaben. Sie ist glücklich, wenn er sachlich mit ihr umgeht.

Wenn er nicht ›hysterisch‹ ist, sondern beständig; eben lieblos.

So ungefähr stellt sie sich das Glück des Mannes vor und das Glück der Frau, auf der Basis von ›Nesthäkchen‹.

Das Glück, das eine Frau dem Mann gab, war liebevoll: sie ließ ihn nicht schreien. Das Glück, das er ihr gab, war dagegen ein liebloses Glück. Dazu gehörte die Devise: Gelegentlich ruhig mal schreien lassen. Aber auch wenn er sie schreien ließ, liebte er sie. Hinter seinen Erziehungsmaßnahmen, seiner Launenhaftigkeit konnte man seine Liebe erkennen. Das heißt, konnte man eigentlich nicht, aber es war so. Sie dagegen, wenn sie schrie, liebte ihn nicht; wollte ihn verlassen, schmiedete bereits Pläne, konnte es nur so aushalten, daß sie bei ihm blieb, vorerst. Das Ende des gemeinsamen Glücks stellte sie sich unwillkürlich so vor, daß sie, ihn beim sachlichen Wort nehmend, ging und er – schrie.

»Aber mir mein Lebensglück kaputtmachen«, würde er wie bei der Eheschließung, so bei der Scheidung sagen. ›Aber‹, das war dann alles, was ihr Glück hätte sein können.

Mag sein, daß Glück ohne ein Beiwort, das es kaputtmacht, nicht nichts ist, aber das, was es ist, ist jedenfalls nicht sprachlicher Natur; man kann nicht darüber reden. Als souveräner Begriff, jedes Beiworts ledig, ist es vom Guten nicht zu unterscheiden – das haben schon die alten Griechen gewußt; nicht von Wahrheit oder Schönheit. Es ist auch von Einfachheit und Vollkommenheit nicht zu unterscheiden, wovon auch alle andern souveränen Begriffe nicht zu unterscheiden sind. Kommt die geringste Kleinigkeit hinzu, wird es real und ist im Hinblick auf die souveränen Begriffe verdorben. Es wird sprachlich, freilich nur als Beiwort unter anderen Beiwörtern, deren Existenz an Hauptwörter geknüpft ist, so wie die Existenz des Geistes an das Leben des Körpers. Glückliche Ehe, glückliches Leben, glückliche Wahl: nur gemeinsam treten sie den Weg in die Vergangenheit an, entpuppen sich als Irrtum oder werden zum Baustein einer festgegründeten Biographie.

Einmal als Adjektiv ins Auge gefaßt, stellt sich der verheerende Freudsche Verdacht einer bloß begleitenden Empfindung ein, die durch alles mögliche ausgelöst sein kann, nur nicht durch den Begleiter. In dem Fall wäre die Bemerkung über die »lieblose Zeit damals«, als sie ihre Kinder aufzog, gleich im doppelten Sinn verletzend gewesen, nämlich nicht nur ihr gegenüber, als Person, sowie allen, die in der damaligen Zeit ihre Lebensentscheidungen treffen mußten, auch gegenüber der Epoche in ihrer verwickelten Realität. Eine Bemerkung aber, die sich nicht nur gegen das Verhalten wendete, sondern ebenso gegen das Substrat davon oder nicht nur gegen die Menschen, sondern auch gegen die Epoche und umgekehrt ebenso, die also das Bezogene und den Bezug zusammenwarf und beides zusammen zum Bezogenen machte eines recht eigentlich unabhängigen dritten Bezugs, eine solche Bemerkung war selbst in höchstem Grad – lieblos!

Komisch überhaupt, die ganze Einteilung, hatte sich in der von ihrem Bekannten als lieblos gekennzeichneten Zeit doch alles zum Besseren gewendet, und dann wußte man noch nicht einmal, wer eigentlich gemeint war. Aus den Kindern der Nazis waren junge Eltern geworden, die noch in den Krieg hineingeboren, aber nicht mehr in ihn gezogen waren. Bereits ihre eigenen Eltern hatten sich auf kein intaktes Wertesystem mehr stützen können, anders als die Großeltern, die auf eine Zeit zurückblickten, in der »noch alles gegolten« hatte; die hatten ihre Kinder mit Backpfeifen zur Ordnung gerufen, und die hatten pariert. Nach dem Krieg war den so Erzogenen gar nichts anderes übriggeblieben, als die eigenen Kinder liebevoll großzuziehen, fehlte es ihnen doch an Selbstbewußtsein ebenso wie an den dafür nötigen festen Überzeugungen; wohlgemerkt an der Festigkeit, nicht an den Überzeugungen. Sie waren vielleicht unaufmerksam und inkonsequent, aber alles andere als lieblos gewesen, im Gegenteil, eher überschwenglich, auch schnell resigniert, dabei immer beschäftigt. Ihre Nachkommen, wiederum, hatten die unsichere Erziehung in ein gewolltes Programm gewendet: stark sollten die Kinder werden, sich selbst sollten sie erziehen. Was wäre daran lieblos gewesen? Daß sie zu aufmerksam waren, einfach zu wenig – abgelenkt? Daß sie sich zu sehr auf ihre Kinder konzentriert hatten oder sich so auf sie konzentriert hatten, wie man sich auf seine Bücher konzentriert? Hatten sie etwa zuviel nachgedacht, zuwenig getröstet, und war Nachdenken womöglich bloß eine andere Art, von Stärke zu träumen? Waren sie, ohne es zu merken, wieder in das alte Fahrwasser geraten, aus Abwehr des elterlichen in den großelterlichen Stil zurückgefallen, hatten, ohne sich dessen im geringsten bewußt zu sein, doch wieder mit Backpfeifen erzogen, wenn auch lediglich mit symbolischen?

Sie würde sich ja gar nicht aufregen, wenn da nicht die blöden Erinnerungen wären: an die Hebamme, zum Beispiel, die sie im Kreißsaal anbrüllte, an den Arzt, der sich für sie einsetzte, darum bat, sie »die Wehe verarbeiten« zu lassen; lang ist's her, sie erinnert sich, als wäre es gestern gewesen. Aber wen könnte der Bekannte gemeint haben – nehmen wir mal an, er wäre dabei gewesen –, den Dragoner von Hebamme, den Arzt oder die Kreißende? Täter und Opfer verschränkten sich, im ›Nesthäkchen‹-Stil hätte sie beinahe gesagt: eigentümlich.

Glück, stellt sie erschöpft fest, war, nicht aus allem herauszufallen und dabei gleichzeitig zur Zielscheibe zu werden. Das war alles, was man über Glück sagen konnte. Solange man nicht herausfiel, war man kräftig und beschützt genug, die Idee eines Glücks zu fassen, dieses jeweils zu greifen oder zu missen, in Maßen also unglücklich zu sein; man war dazu glücklich genug. Fiel man aber aus allem heraus – auf eine fatale Weise die Reinheit des Glücks kopierend –, dann wurde man unglücklich.

Selten ist sie so wütend geworden wie bei der Bemerkung des Bekannten, und sie konnte gar nichts erwidern; denn wer sich wehrt, wehrt ab!

Eine Erinnerung Christine Nöstlingers hat ihre Abwehr besiegt und ihr den Weg in die Trauer gebahnt, fernab vom Glück, und dabei hatte sie nie gewußt, was das eigentlich war: trauern. In einem autobiographischen Vorwort zu Schwangerschaftsberichten betroffener Frauen – ihre jüngste Tochter hat es, ein Wink des Schicksals, bei ihren einschlägigen Recherchen entdeckt –, enthüllt die Schöpferin selbstbewußter Kinder- und Jugenderzählungen die Lieblosigkeit einer Zeit, die sie, die Mutter der glücklichen Entdeckerin, durchaus annehmbar gefunden hatte, von guten Vorsätzen geprägt, dabei staunenswert wirklich und im ganzen tapfer, ein Humus für das Glück der nächsten Generation. Vielleicht liegt der Unterschied ja daran, daß die Nöstlinger ein paar Jahre älter ist als sie, dazu Österreicherin. Das Klima unbesiegbarer Lieblosigkeit und unangefochtener Boshaftigkeit, das sie beschreibt, das Ungerührte und Triebhafte, das quasi Konkrete und Persönliche der Normen, in deren Dunstkreis das junge Mädchen heranwächst, führt sie auf die mütterliche Schaltstelle zurück. Hier laden sich die überkommenen gesellschaftlichen Erwartungen auf, werden gleichsam zu intimen Bestandteilen der Überlieferung von der Mutter auf die Tochter, zur Materie dieser Beziehung und zur vertraulichen Botschaft.

Als sie davon las, sah sie – die zu Allegorien gar nicht neigt, dazu nimmt sie alles viel zu persönlich – die Gesellschaft und die Mutter in einer mythologischen Gestalt vereint: als Ungeheuer. Sie kapitulierte vor der Übermacht und suchte, ebenfalls ganz gegen ihre Natur, Trost bei Freundinnen, übrigens sämtlich jünger als sie – mit Gleichaltrigen umzugehen hatte sie nie geübt, entsprechend ungelenk und lieblos war ihr Umgang mit sich selbst –, die mit dem Bewußtsein, Frauen zu sein, auf die Welt gekommen waren und von denen sie glaubte, daß der Text sie ansprechen, sie sich aber die Lektüre nicht zu Herzen nehmen würden. Sie bestätigten ihr, daß es die lieblose Zeit gegeben, vor allem aber, daß sie sich am Unpersönlichen festgemacht hatte, im Ganzen an der Rolle der Frau, deshalb auch bis weit in die heutige Zeit angehalten hatte; so daß dies der eigentliche Stein des Anstoßes wäre, daß der Bekannte sich selbst und die eigene Zeit als liebevoll deklarierte, und nicht jene andere Zeit als lieblos. Wer weiß, vielleicht war Lieblosigkeit ja nichts anderes als der persönliche Ausdruck der gesellschaftlichen Ansprüche, und wo sonst natürlich, als innerhalb der Familie. Vielleicht hatte Trost deshalb immer etwas von Betrug, auch wenn sein Unterbleiben ausgesprochen lieblos war. Vielleicht waren Großeltern in der Regel netter als die Eltern, weil sie ihre Pflicht als gesellschaftliches Sprachrohr bereits einmal erfüllt hatten. Hatten aber die Eltern ihre gesellschaftlichen Pflichten gegenüber den Kindern versäumt, dann konnte man erleben, wie die gemütvollsten Großeltern die ungeliebte Aufgabe auf sich nahmen. Bequemlichkeit war gut, aber Verweigerung kam nicht infrage.


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