Ilse Bindseil

Von A bis Zett – meine Welt im Porträt

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Dreierlei Liebe – Porträt

Die Liebe kann dreierlei sein: Antrieb, Hingabe und Duldung.

Im ersten Fall motiviert sie, liefert Anregung und Inspiration, sie beflügelt Geist, Körper und Werke. Sie verdichtet das Leben und erhöht es zugleich; sie belebt es. Sie schenkt Jugend, Gesundheit und Kraft. Sie verwirklicht und verdeutlicht den Traum vom Menschen, ein sich erneuerndes Wesen zu sein, eine aufladbare Batterie, ein Produzent seiner selbst, der in dem Maß, in dem er sich durchschaut, an die Prinzipien seines Funktionierens sich herantastet und die Herrschaft über diese Prinzipien gewinnt.

Der einzige Haken bei der Sache: Da die Liebe um der Selbsterhöhung willen stattfindet und darin ihr eigentliches Ziel hat, braucht es bei aller Gegenseitigkeit im Grunde doch einen, der liebt, einen andern, der geliebt wird. Oder genauer, es braucht einen, um dessentwillen die Liebe stattfindet, der das Projekt der gemeinschaftlichen Veranstaltung ist. Diese Verteilung wird eingefordert. Wer sich darüber hinwegsetzt, gefährdet die Harmonie. Wer sie in Zweifel zieht, sprengt die Beziehung zuletzt.

Diese Liebe macht den reich, der sich verliebt.

Im zweiten Fall bedarf es weder der Inspiration noch der Investition, ist die Liebe doch beides zugleich. Ihr selbst kommt die Anregung zugute, sie ist das Ziel. Jugend, Kraft und Gesundheit vernutzend, läßt sie jedes frühere Interesse ersterben. Sie verwirklicht und verdeutlicht den Menschheitstraum: daß es im Leben etwas – ein Etwas – gibt, für das zu leben mehr lohnt als für sich selbst und ohne daß man dadurch gekränkt und herabgesetzt wird.

Der einzige Haken bei der Sache: Unter der rückhaltlosen Hingabe gedeiht die Liebe mehr als der geliebte Mensch, der auf eigentümliche Weise in den Hintergrund rückt. Manchmal merkt er es selbst, daß die Leidenschaft um Haaresbreite an ihm vorbeizielt. Er könnte das krummnehmen, scheint doch sein eigenes Ungenügen durch. So toll, wie die an ihn gewendete Zuneigung es nahelegt, ist er bei weitem nicht; und während die Liebe sich entwickelt, an zugleich realer und metaphysischer Statur gewinnt, sich selbst und zugleich ihren eigenen Heroismus hervorbringt, sozusagen die überirdische Version ihrer selbst verwirklicht, steht er, der Geliebte, oder sie, die Angebetete, im Abseits, fühlt sich ungelenk, klobig, wie um die eigene Entwicklung, die eigene Beweglichkeit gebracht und wie tot. Der Liebende dagegen, je weniger er sich von der Dürftigkeit des andern beeindrucken und von dessen Kümmernissen beeinträchtigen läßt, präsentiert sich in höchst fragwürdiger Weise lebendig, beinahe wie ein Vampir. Noch in den besten Momenten bleibt die Ungleichheit des Verhältnisses erhalten: daß der, der sich in der Liebe verausgabt, lebendiger ist als der, den er liebt.

Diese Liebe macht den reich, der gibt.

Der dritte Fall kann als ›Käthchen-Liebe‹ bezeichnet werden; gemeint ist natürlich das Käthchen von Heilbronn. Sie ist, mit Freud zu reden, so etwas wie das Negativ der ›Kriemhild-Liebe‹: nicht rachsüchtig in ihrer Beständigkeit, vielmehr selbstgenügsam in ihrer Beharrlichkeit. Die Bedingung dieser Liebe ist, daß sie nicht erwidert, wohl aber geduldet wird. Sie bedeutet die unbedingte Hingabe an jemanden, der nicht widerliebt; wozu man auch Treue sagen kann, was aber mehr die Treue zur einmal gefaßten Liebe beinhaltet als zur geliebten Person. Nur daß beides nicht wirklich zu unterscheiden ist; denn keinesfalls liebt Käthchen die Liebe, so intellektuell ist sie nicht. Ihre Treue gilt auch nicht der eigenen Leidenschaft, also sich selbst, so egoistisch ist sie nicht. Ihre Liebe ist von Anfang an so auf eine Person gerichtet, durch ein bestimmtes Individuum förmlich ausgelöst und in Gang gesetzt, daß es keinen Sinn hat, sie nachträglich zu verallgemeinern oder zu abstrahieren. Nur ein Böswilliger käme auf die Idee, hinter dieser einzigartigen, weniger alttestamentarisch erhabenen als vielmehr neutestamentarisch beschwingten, wahrhaft erlösenden Liebe bloß fehlende Intellektualität zu vermuten, kurz Dummheit zu wittern. Aber in der Tat, Käthchen weiß vermutlich nicht, was an ihrer Liebe allgemein ist. Sie liebt den Grafen, Punkt.

Wenn die ohne Gegenliebe Liebenden ihrer Liebe nicht treu sind, dann ist es mit letzterer aus und vorbei. Da ist niemand, der etwa seufzt und sich erinnert; kaum, daß es bemerkt wird. Sie müssen also doppelt treu sein; für den andern, der nicht liebt, mit. Oder in doppelter Funktion, als Bestandteil und als Bedingung der Liebe; weil sie nun einmal lieben und damit diese existiert.

Aber auch der, der nicht liebt, dafür in unbedingter Treue geliebt wird, muß auf seine Weise treu sein. Denn wenn der einseitig Geliebte die seltsame Konstellation, die beständige Nähe, die ihn einschränkt, nicht mehr erträgt, wenn er an der Gegenwart fremder Gefühle erstickt, an der Gewalt einer von ihm als solche empfundenen Idealisierung förmlich zugrunde geht, wenn er das Nichtverhältnis also beendet, auch dann ist es mit der Liebe vorbei; dabei hat er doch gar nicht geliebt. Er ist wie der stille Teilhaber in einem Geschäft, das ohne sein Kapital nicht existieren würde; letzteres muß sein, aber es darf nicht in Erscheinung treten. Keineswegs erspart seine Treue dem liebenden Part die Hälfte des doppelten Aufwands. Sie ist Bestandteil des settings; unverzichtbar als Bedingung, dennoch keine Liebe. Die bleibt dem Liebenden überantwortet, er liebt für zwei.

Aber so ist auch der wesentlich beteiligt, der vermeintlich unbeteiligt ist. An ihm hängt Gedeih und Verderb dieser Liebe; wohlgemerkt, ob sie gedeiht oder verdirbt, nicht, wie sie existiert, sondern ob sie es zur Entfaltung und zur Reife bringt als eine Liebe, die auf kargem Boden gedeiht. Selbstverständlich würde sie auch durch plötzliche Erfüllung zugrunde gehen, so wie die Blumen der Magerwiese durch Überdüngung. Diese Liebe verschwindet, wenn man ihr plötzlich mit – Liebe begegnet.

Es ist also eine genügsame Liebe, die der Asymmetrie bedarf, eine Liebe im Schatten. Aber ich behaupte, daß es die größte ist, weil sie etwas anderes als Liebe braucht und selbst im günstigsten Fall etwas anderes als Liebe bewirkt; weil sie keinem Automatismus folgt und keinen Reflex erzeugt, in dem Schein und Sein, ineinander übergehend, sich zu Lug und Trug verquicken, sondern in dem normalen, nüchternen Rahmen sich bewegt, als die Liebe eines Menschen zu einem anderen.

Diese Liebe hat, da nicht Glück, nur Schicksal im Spiel ist, auch keinen Haken, und sie macht nicht reich. Ihre Arbeit verrichtet sie unbemerkt, heimlich. Der bloß duldet, gewöhnt sich. Der liebt, gewöhnt sich auch. Der erstere liebt fast schon ein wenig, der andere fast schon nicht mehr, er denkt: Wenn er nur bleiben darf! Daß alles bleibt, wie es ist, beinahe ist es schon ein gemeinsamer Wunsch.

Diese Liebe ist die schönste; denn sie rehabilitiert das Leben gegenüber der Liebe. Es geht dabei nicht um das schöpferische Leben, im biologischen oder sublimen Sinn, das die Liebe in seinen Dienst stellt. Nicht das Produktionsmoment wird akzentuiert, sondern das Seinsmoment. Gehen und Vergehen machen hier nicht den dramatischen Unterschied. Für die unvergängliche Liebe ist die Vergänglichkeit des Lebens mehr oder weniger Zufall, ein Beiwerk. Da sie selbst unerfüllt bleibt und der Erfüllung sich auch restlos entwöhnt, ist ihre Unvergänglichkeit, ihr Sein, dem Nichtsein zum Verwechseln ähnlich. Sie selbst also, die unvergängliche Liebe, ist dem vergänglichen Leben zum Verwechseln ähnlich, und letzteres ihr. Sofern nicht das eine das andere jeweils benutzt, um sich künstlich zu dramatisieren – das Vergehen des Lebens, etwa, durch die Erfüllung einer kostbaren Liebe oder die Kostbarkeit der letzteren, um dem leeren Leben einen Sinn zu geben –, sind sie in ihrer praktischen Existenz, sozusagen ihrer Lebensführung, sensationell symbiotisch, zugleich denkbar unspektakulär.

Diese Liebe, im endlichen Leben, ist ewig; im wechselnden Leben ist sie der Ruhepunkt.

Sie ist der stabile Punkt, auf den das Leben sich beziehen kann. Sie ist, in dieser Konstellation, das Leben. Und deshalb dulden sie, die geliebt werden, den, der sie liebt und den sie nicht widerlieben, und wenn er fehlte, ist ihnen sogar, als wenn ihnen der Rahmen ihres Lebens fehlt, die Umgebung. Umgekehrt ist dem Geduldeten der Geliebte geradezu im biologischen Sinn ein Milieu, außerhalb dessen er nicht überleben kann. Deshalb nimmt er ja Hohn und Spott auf sich von Seiten derer, die um seine Liebe wissen, und erträgt viel Frust. Vom Geliebten getrennt, existiert er nicht; er stürzt zu ihm, nicht um zu lieben, nur zu leben. Angekommen (und nicht weggeschickt), atmet er auf, ist plötzlich müde, ja er verspürt Hunger. Vor Erleichterung vergißt er, daß er liebt. Nur daß er in der Ferne vor Entbehrung verschmachtete, erinnert ihn daran, daß er eigentlich ein Liebender ist. Wäre nicht diese seltsame Krankheit, er wäre gesund.

So liebt, in der geduldeten Liebe, die Liebe das Leben und das Leben die Liebe. Weder liebt die Liebe sich selbst, ist also keineswegs egoistisch, noch liebt sie etwas Höheres als das Leben, vertritt also den Schein. Das Leben transzendiert sie weder nach innen noch nach außen. Immer ist sie ganz darin, und deshalb ist sie von den dreierlei Arten der Liebe am meisten bei sich.


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Quelle: http://www.ilsebindseil.de/txt/txt21.html.

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