Ilse Bindseil

Von A bis Zett – meine Welt im Porträt

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Selbstporträt mit Tier

Sie hat nie gelernt, sich vom Tier zu unterscheiden; hier dockt sie am Wahnsinn an.

Genauer gesagt hat sie es nicht gelernt, das Tier von sich zu unterscheiden. Sie weiß eben nicht, was das ist: ein Tier.

Sie verhandelt mit Tieren, als wären es Menschen; wählt sorgfältig ihre Worte, spricht mit leiser, unterwürfiger Stimme. Ein hastiger Ton schleicht sich ein. Sie sagt: Du bist ein großer, vernünftiger Hund, gell, du tust nichts! Vor allem will sie den Tieren zeigen, daß sie viel von ihrer Vernunft hält, daß ihr nichts ferner liegt, als ihnen Verstand und Vernunft abzusprechen. Das ist ja ihr Problem, daß sie nicht wüßte, was aus ihr selbst würde, wenn sie den Tieren das menschliche Urteilsvermögen abspräche. Mit den Tieren hat das gar nichts zu tun.

Gell, du begleitest mich, sagt sie zu der Katze, die sich an ihre Fersen geheftet hat und ihr unerbittlich folgt. Komm, wir gehen zusammen, sagt sie einladend, wo sie schon keine Möglichkeit sieht, das Tier wieder loszuwerden. Was, wenn sie ihre Krallen ausfährt, ihr ins Gesicht springt! Unversöhnt nebeneinanderher zu gehen, das hat für sie keine Perspektive; ein Drang treibt sie hinüber, auf die Seite der Katze, sie weiß nicht, wie ihr geschieht. Besser, denkt sie, sie kleidet ihn in konventionelle Worte, diesen Drang. Vielleicht, daß aus der Simulation ein zivilisiertes Miteinander entsteht.

Gell, du gehst mit mir, sagt sie, so als wäre da noch irgend Freiwilligkeit im Spiel oder Entscheidung; als klebte sie nicht bereits fest an der Katze oder diese an ihr.

Von einem Tier erwählt zu werden ist nicht weniger und nicht mehr, als von einem Menschen erwählt zu werden. Vielleicht sogar mehr, da sie felsenfest davon überzeugt ist, daß man ein Tier nicht manipulieren kann. Entweder man überzeugt es mit Vernunftgründen, oder man überzeugt es gar nicht.

Ein Tier kann man nicht betrügen.

Erwählt einen ein Tier, dann hat das etwas zu bedeuten. Bei einem Menschen ist das anders. Es gibt tausend Gründe, sich zu schämen, wenn einen dieser oder jener Mensch erwählt. Das ändert nichts daran, daß es das Größte im Leben eines Menschen ist, erwählt zu werden. Hat es mit Schämen zu tun, dann hat es eben mit Sex zu tun.

Von einem Tier erwählt zu werden ist pures Geheimnis.

Pure Metaphysik.

Ihre Schwester hatte einen Hund, zu dem hatte sie ein ganz besonderes Verhältnis: angstvoll, weil er so laut, zärtlich, weil er so weich, unterwürfig, weil er so groß und seine Stimme so tief war. Wenn sie die Barriere aus Gebell, die Schallmauer, überwunden hatte, barg sie das glühende Gesicht in seinem Fell, flüsterte hastige Begrüßungsworte, zärtliche Worte, in denen sie von ihrer Furcht erzählte, ihrer lächerlichen Angst. Stell dir vor, flüsterte sie, ich habe mich vor dir gefürchtet. Mußt du immer auf dem Treppenabsatz stehen, murmelte sie; ich weiß schon, murmelte sie, da fühlst du dich am größten; hast schon recht, murmelte sie, glücklich, daß wenigstens einer in der Familie den Platz gefunden hatte, auf dem er am größten war, und sie sich bei ihm anschmiegen konnte. Gell, flüsterte sie, auf dem Treppenabsatz stehen und auf die Leute herunterbellen, das gefällt dir! Sie hoffte, daß er unter dem Klang ihrer Worte vergessen würde, daß er auch auf sie heruntergebrüllt hatte.

Wenn sie so mit ihm flüsterte, war sie felsenfest davon überzeugt, daß er wußte, daß sie die kleine Schwester seines über alles geliebten Frauchens war; sonst hätte er doch ihre Zudringlichkeit nicht erduldet, sich nicht gleichmütig, gleichgültig ihre Zärtlichkeiten gefallen lassen.

Immer würde er sie ein bißchen verachten und sie allein schon deshalb nie und nimmer beißen können!

Seitdem ihre Schwester ihr von der Kurzsichtigkeit ihres Hundes erzählt hatte, war sie davon überzeugt, daß er sie verwechselte. Deshalb lief er im Garten so glücklich auf sie zu und duldete sie dann nur noch; sie spürte seine Enttäuschung genau.

Wenn sie auf der Treppe an ihn heranreichte, barg sie den Kopf zärtlich an seinem. Es ist doch immer dasselbe mit dir, flüsterte sie. Ihre Schwester begrüßte sie mit steifer Hand, suchte mit ihrer Wange ungeschickt ihre; hoffte, sie hätte bemerkt, wie liebevoll sie mit dem Hund umging, der doch ihrer war; wie liebevoll im Grunde also mit ihr.

Sie liebt es, Tiere mit Du anzureden, hoffend, sie würden in ihr auch ein Du sehen. Einmal entlarvt, als nicht Mensch und nicht Tier durchschaut, als nacktes Bündel – womöglich mit Fell innen –, ein Triebbündel, aus Angst und Lust gebündelt, identifiziert, würde ihr Schicksal sie ereilen: zwar auch erwählt, aber zerbissen, und verzehrt zu werden. Verzehrt, ach was, gefressen!

Um so wichtiger, daß das Tier in ihr das Du gewahrt. Dann muß es selbst aufpassen, daß es sie nicht frißt. Dann ist es für sie ebenso wie für sich selbst verantwortlich, und beides kommt ihr zugute. Daß der, der das Böse tun kann, sich zurückhält, scheint ihr um vieles sicherer zu sein, als daß der, der sich nicht wehren kann, sich wehrt; daß der, der sich unterwirft, sich zurückhält!

Um vieles sicherer.

Daß der Mächtige sich zügelt, gibt höchsten Schutz.

Der Unterlegene entgleitet in die Panik, rutscht ins Chaos der ihn überflutenden Angst. Der Täter zügelt sich, kennt Form und Maß.

Das Opfer erregt sich, der Täter zügelt sich.

Ist doch klar, auf wen man mehr setzen kann!

Nur eins kann sie nicht verhindern: daß sie immer kleiner, immer häßlicher, immer ängstlicher wird: ein Fressen für die Geier. Deshalb brauchte sie auch den immer etwas diktatorischen Schutz ihrer Schwester, den immer etwas gleichgültigen Schutz durch deren anderes Ego, den Hund.

Gell, du bist ein guter Hund, flüsterte sie, kraulte ihn zärtlich unter der Kehle, innerlich davon überzeugt, daß ihm das peinlich war; seine Art war der von Schweizer Rettungshunden verwandt, die kraulte man nicht unter der Kehle.

Sie hat übrigens immer Angst vor Hunden gehabt; ganz früher schon, da war sie noch klein. Erst in den letzten Jahren ist das umgekippt; jetzt verehrt sie im Tier offen die Gottheit und erschauert beim Gedanken an das fällige Opfer.

Als kleines Mädchen hat sie den Traum vom Hund geträumt. Er stellte sich mit allen vier Pfoten über sie, Kopf über Kopf, Geschlecht über Geschlecht.

Paß auf, sagte er, jetzt zeige ich dir, wie man stirbt.

Sie wußte, daß er sie die körperliche Liebe lehren und daß es nicht gut ausgehen würde.


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Quelle: http://www.ilsebindseil.de/txt/txt21.html.
Abdruck in: Ästhetik & Kommunikation 138 (2007), 51–55.

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