Ilse Bindseil

Von A bis Zett – meine Welt im Porträt

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Wie er beschaffen sein muß, damit ich Liebster zu ihm sagen kann (1)

Von aller bürgerlichen Existenz muß er sich unterscheiden und darf darin nicht aufgehen. Er als Person muß gewährleisten, daß man in ihm nicht den Sachverstand liebt oder das Geld, eben alles, was ohnehin ist und wofür man keine Liebe braucht. Kurz, er muß etwas an sich haben, was sich nur durch Liebe erfassen läßt. Er muß etwas an sich haben, was zu nichts anderem taugt als dazu, geliebt zu werden. Etwas, was ganz frei von anderer Bestimmung ist – mit Karriere zu tun hat, mit Familie oder mit großen Zielen – und was doch kein bloßer Teil von ihm ist; ganz rein und nutzlos, also, und doch kein bloßer Teil!

Er muß etwas an sich haben, was auf die Liebe verweist. Er, der vor allen Ausgezeichnete, muß als Platzhalter auftreten können. Ihn zu lieben bringt die Liebe hervor. Wenn er Liebster genannt werden kann, ist sie hervorgebracht; man kann sie anreden!

Mit einem Lächeln gibt er zu erkennen, daß er weiß, daß nicht er gemeint ist. Er dankt nicht für das Kompliment; er verbucht es. Er gibt zu erkennen, daß er weiß, daß er nur der Mittler ist; ungeheure Summen gehen durch seine Hand, aber ihm wird davon nicht bange. Er weiß, daß das Geld nicht seins ist, daß er es nur weitergibt. Warum soll er sich bange machen lassen. Sein Lächeln löst ihn auf; es macht ihn durchsichtig auf ein anderes hin, das nicht er ist. Wäre er ein Teig, würde man sagen, es macht ihn dünnflüssig. Wahrhaftig, er gärt! Schüchtern wendet er sich ab, senkt bescheiden den Kopf. Im Moment der größten Verletzlichkeit ist er ganz stabil. Nichts kann ihn aus den Socken hauen, schon gar nicht ein falsches Wort. In seinem Gesicht, aus dem alles Blut gewichen ist, leuchtet der Stolz. Er lächelt in sich hinein. Ordinär würde man sagen: Er grinst. Ohne es zu merken, greift er nach diesem und jenem, legt den Korkenzieher in die Schublade zurück, sortiert die Teller auf der Ablage, streichelt das Besteck; hebt endlich den Kopf und gibt den Blick zurück, lächelt. Er lächelt die Liebe an!

Mag sein, daß er das Kompliment anders auffaßt, weniger philosophisch. Es gibt Anzeichen dafür. Die Art, wie er lächelt, deutet darauf hin. Jüngferlich lächelt er in sich hinein, als wäre ihm zum ersten Mal bewußt, daß er ein Mann ist. Er als Person ist vielleicht die Ursache für soviel Liebe, und das gibt ihm Anlaß zu lächeln. Aber er ist nicht der Grund, und das macht ihn bescheiden; es macht ihn demütig. Der Grund hat mit seiner Männlichkeit zu tun. Über die darf er grinsen, da ist härterer Tobak erlaubt. Er lächelt vielleicht über den Anteil, den die Männlichkeit an ihm hat; aber er grinst über den Anteil, den er an der Männlichkeit hat. Als jemand, der nicht unmittelbar gemeint, nur Bote ist, Mittler, hat er etwas Unirdisches, Flüchtiges, um nicht zu sagen Geflügeltes. Als Mann ist er kompakt wie ein Stein, und es gibt keinen Grund, sich dessen zu schämen, wenn auch keinen, sich zu rühmen. Ein Mann ist er, insofern er Anteil an der Männlichkeit hat, ein Jüngferlein, insofern er dies weiß. So rührt seine Stabilität von dem her, wovon er nicht der Grund ist, schließlich ist es unmöglich, ihn als Grund seiner Männlichkeit zu bezeichnen. Seine Zartheit aber rührt von dem her, wovon er die Ursache ist: daß man ihn liebt. So kommt es, daß er, je mehr er geliebt wird, desto zarter wird; und je mehr er sich der wahren Zusammenhänge, der geborgten Männlichkeit bewußt ist, desto stabiler wird er. Worauf er sich verläßt, darauf kann er sich felsenfest verlassen.

Er verläßt sich auf das an ihm, was fest ist. Blaß bis zur Durchsichtigkeit, hohlwangig, ist er zugleich aus einem Material, dessen Haupteigenschaft, wie es scheint, Undurchlässigkeit ist. Befreit von der falschen Last der Gedanken, die sie zu tragen haben, schieben seine Schultern sich schwarz vor den trüben Horizont. Exquisit in ihrer Nichts-als-Körperlichkeit, scheinen sie an Ausdehnung zu gewinnen und verdichten sich bloß. Von der Dichtigkeit des Körpers bekommt man eine Ahnung, wenn er sich von der Ausdrucksfunktion für den Geist befreit und, diesen aussondernd, mit sich zusammenwächst, der Körper mit dem Körper. Der ausgesonderte Geist blickt auf den Körper zurück, sagt verschämt Liebster zu ihm; die Metaphysik entflammt für die Materie.

Mein Liebster hat einen Körper. Insofern er einen Körper hat, nenne ich ihn Liebster. Von Natur schüchtern und leicht beschämt, ist er sich seiner nur bewußt, wenn ich ihn Liebster nenne, und ich nenne ihn nur so, wenn wir uns geliebt haben. Nie käme ich auf die Idee, ihn so zu nennen, wenn ich ihn mit den Augen der andern sehe, auf dem Sportplatz oder auf der Promenade, am Strand, überall da, wo er seinen Körper zeigt und wo er betrachtet wird. Liebster nenne ich ihn, wenn er vor lauter Lieben vergessen hat, daß er eine Person ist, ein Mensch, den man anreden kann; und wenn ich ihn dann mit Liebster anrede, weiß er, daß ich nicht die Person anrede, sondern den Menschen, und die Person lächelt fein, weiß sie doch, daß nicht sie gemeint ist und nach dem, was alles vorgefallen ist, auch gar nicht gemeint sein kann, der Mensch aber grinst; denn man muß schon Körper, das heißt ganz schön stabil sein, um über all dem, was hinter dem Rücken der Person vorgefallen ist, nicht hoffnungslos zu erröten.

So wenig Verfügung er über seinen Körper hat, so sehr kann er sich auf ihn verlassen: kraft seiner aus dem Geist herausgefilterten kompakten Natur existiert er. Er existiert, weil es seine Natur ist zu existieren; weil es seine Definition ist. Er ist ein Geschenk. Daß er kein Danaergeschenk ist, liegt an seiner abgeleiteten Natur: daß er sich aus dem Geist herausgefiltert hat, ihm daher entzogen ist, nicht ihm zur Verfügung steht. Der Geist kann also nicht mit ihm machen, was er will. Er muß das wissen, muß wissen, daß er mit ihm nicht machen kann, was er will. Er muß wissen, daß er nicht kann; nur Nichtkönnen reicht nicht, und Wissen an sich selbst ist nichts. Er muß loslassen. Verwicklungen – oder eigentlich Verwechslungen – sehen so aus, daß der Körper in die Machenschaften des Geistes hineingezogen wird, als wäre er die reale Münze, der Rohstoff für die Manipulationen des Geistes, eben das, was man gemeinhin unter Materie versteht, nämlich Material. Aber dazu kommt es bei uns nicht, hier winkt keine Gefahr, da mein Liebster schamhaft von Natur und eigentlich körperlos ist. Seinen Körper empfängt er von mir, nachdem ich ihn von ihm empfangen habe, und jetzt lächelt er fein, wenn ich ihn Liebster nenne, und grinst sich eins; denn er weiß, daß er keinen Körper hat, und daß ich nur deshalb Liebster zu ihm sage. Nie würde ich zu einem Gegenstand der Sehnsucht Liebster sagen; vielleicht »He, du da, auf deinem Stern!«, aber doch nicht Liebster.

So muß er beschaffen sein, damit ich Liebster zu ihm sagen kann: Er muß einen Körper haben, und dieser Körper muß für mich sein. Er muß ihn von mir haben, und deshalb muß er mein gewesen sein. Liebster hat mit Realitäten und nicht mit Halluzinationen und Irrtümern zu tun, mit Selbsttäuschungen. Nur kleine Geister kommen gelegentlich durcheinander mit ›mein‹ und ›dein‹, mit ›zuerst‹ und ›später‹, vor allem mit ›Anfang‹ und ›Ende‹. Dabei bräuchten sie sich bloß auf ihre Erfahrung zu verlassen. Sie bräuchten bloß die Augen aufzumachen: Lächelt ihr Liebster? Und wenn ja, wann? Vorher oder nachher? Wie lächelt er? Generös oder dankbar? Und wenn er liebt: Will er geben, oder will er werden?

Es ist im Grunde ganz einfach.


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Quelle: http://www.ilsebindseil.de/txt/txt21.html.
Abdruck in: Ästhetik & Kommunikation 138 (2007), 51–55.

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